Methodik der schriftvergleichenden Untersuchungen
Grundlage für vergleichende Handschriftenuntersuchungen bildet die Erfahrungstatsache, dass die Handschrift als Produkt graphisch fixierter Bewegungen individuelle Ausprägungen aufweist. Dies ist insbesondere in der speziellen Konfiguration ihrer Merkmale als Gesamtheit begründet. Isoliert betrachtete Einzelmerkmale sind somit eher selten ausreichend wertstark. Für die Echtheits- oder Urheberschaftsprüfung eignen sich auch nur Schreibleistungen, die quantitativ einen hinreichenden Umfang haben und darüber hinaus in ihrer Gesamtheit Eigenprägung zeigen.
Da die Merkmale der Handschrift nur relativ konstant sind und sich zudem durch verschiedene Einflüsse verändern können, bildet das Vorliegen von quantitativ und qualitativ geeignetem Vergleichsmaterial eine wichtige Voraussetzung für die Schriftvergleichung.
Bei vergleichenden Analysen werden Schriften systematisch auf Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung bezüglich verschiedener Merkmalsbereiche geprüft. Der graphische Sachverhalt beinhaltet vor allem Eigenschaften der Bewegungsführung und der dreidimensionalen Ausprägung. Während die formalen Komponenten im Allgemeinen als weniger beweiskräftig gelten, kommt der Bewegungsdynamik (Rekonstruktion vollständiger, dreidimensionaler Sequenzen aus dem fertigen Schriftprodukt) die gewichtigere Bedeutung zu.
Die Komplexität und die Vielfalt der am Schreibvorgang beteiligten Muskulatur und die Heterogenität der neurophysiologischen und psychomotorischen Steuerungsmechanismen verhindern vollständig identische Bewegungsabläufe. Damit variiert auch die Handschrift in ihren Merkmalen. Auch bei textidentischen Schriften ist keine Deckungsgleichheit zu erwarten. Von einer Urheberidentität ist dann auszugehen, wenn eine zu prüfende Schrift in allen Merkmalsbereichen innerhalb der Variationsbreite der Vergleichsschriften liegt.
Die Interpretation der Untersuchungsergebnisse resultiert schließlich aus der Wertstärke der ermittelten Übereinstimmungen und Abweichungen. Diskrepanzen zwischen untersuchten Schriften sprechen gegen Identität, wenn sie sich nicht erklären lassen (z. B. durch verschiedenartige exogene oder endogene Entstehungsbedingungen). Für den Identitätsnachweis müssen Gemeinsamkeiten in werthaltigen Merkmalskonfigurationen vorliegen, die insgesamt vielgliedrig genug und in denen die Einzelmerkmale eine hinreichend hohe Spezifität aufweisen.
Systematische Merkmalsvergleichungen erstrecken sich nach der aktuellen Lehrmeinung auf folgende graphische Grundkomponenten, bei deren Analyse jeweils vom Allgemeinen zum Besonderen fortgeschritten wird:
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Strichbeschaffenheit
(insbesondere Strichspannung und Strichsicherheit, Strichstörungen, Strichränder und Strichstruktur, Strichvor- und -rückschläge u. a.),
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Druckgebung
(insbesondere Druckstärke, Druckverlauf, Druckvariation in Abhängigkeit von der Strichrichtung, charakteristische Druckunregelmäßigkeiten),
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Bewegungsfluss
(insbesondere aus Sekundärindikatoren erschließbare Strich- und Er-folgsgeschwindigkeit, Verbundenheitsgrad, elementabhängige Abfolgen verbundener und unverbundener Einzelelemente, u. a.),
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Bewegungsführung und Formgebung
(insbesondere Bogenzügigkeit versus Strichzügigkeit, Bindungsformen, Vereinfachungen der Formgebung und Verkürzungszüge, charakteristische Erweiterungszüge und Umgestaltungen in Relation zur Schulvorlage u. a.),
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Bewegungsrichtung
(insbesondere Strichrichtung und Richtungspräferenz, Neigungswinkel, Zeilenrichtung und Zeilenstruktur),
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vertikale Ausdehnung
(insbesondere Größen der Ober-, Mittel- und Unterlängen sowie Größenproportionen und elementgebundene Unregelmäßigkeiten der Aus-dehnungsproportionen),
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horizontale Ausdehnung
(insbesondere absolute und relative Grundstrichabstände im primären und sekundären Bereich, Weitenproportionalität und horizontale Abstände zwischen einzelnen Beschriftungsteilen),
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Flächengliederung
(Position der handschriftlichen Eintragungen innerhalb der vorgegebenen Schreibflächen, horizontale und vertikale Randabstände, Randbe drängnis, Zeilendistanzen und Zeilenüberkreuzungen u. a.).
Der sichere Nachweis kann nicht in jedem Fall geführt werden. Vielfach bedingen Unzulänglichkeiten im zu beurteilenden Schriftmaterial oder der Mangel an sonstigen erforderlichen Informationen Einschränkungen im Bedeutungsgehalt, führen zu einfacheren Wahrscheinlichkeitsaussagen oder verhindern eine schlüssige Aussage überhaupt.
Mit der abschließenden Wahrscheinlichkeitsaussage drückt die Sachverständige den Grad ihrer persönlichen Überzeugung von der Richtigkeit der nach Bewertung aller Untersuchungsbefunde getroffenen Schlussfolgerung im Sinne einer subjektiven Wahrscheinlichkeit aus. Dieser Überzeugungsgrad steht in reziproker Beziehung zu dem in Betracht gezogenen Risiko, dass die alternative Hypothese bzw. eine der alternativen Hypothesen zutreffend sein könnte.
Zur Graphologie:
Prinzipiell ist die Forensische Schriftuntersuchung deutlich von der Graphologie abzugrenzen. Die Graphologie versucht, auf der Grundlage graphischer Merkmale Persönlichkeitszüge aus der Handschrift zu diagnostizieren. In zahlreichen experimentellen Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass die Gütekriterien (Validität und Reliabilität) für diese Methode unzureichend sind. Die forensische Handschriftuntersuchung basiert auf graphischen Komponenten mit neurophysiologischem bzw. psychomotorischem Hintergrund, kann infolgedessen mit Graphologie nicht in Zusammenhang gebracht und die Bezeichnung "Graphologie" nicht im Kontext mit forensischen Schriftgutachten verwendet werden.



Physikalisch-technische Urkundenprüfung:
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ZOOM-Stereomikroskopie bei Auflicht, Durchlicht, streifendem und polarisiertem Licht;
unter Variation der Abbildungsmaßstäbe usw.,
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elektrostatische Oberflächen-Prüfung mit ESDA zum Nachweis latenter
Durchdruckspuren,
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Prüfung auf Deckungsgleichheit,
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Infrarot-Reflexions- und Lumineszenzprüfungen mit Dokumenten-Video-Scanner (DVS)
und digital gesteuerter Spezialbeleuchtung CES-expert,
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Untersuchung der sichtbaren UV-Fluoreszenzen unter Bestrahlung von lang-
und kurzwelligem UV-Licht (366 und 254 nm),
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digitale Bildverarbeitung mit hochauflösendem Flachbettscanner,
digitaler Spiegelreflexkamera und Adobe Photoshop.

